Alter: 40    Kinder: Quentin (11), Justine (9), Jeanne (7), Martial (1½ )

 

Vor einem Jahr zog Séverine mit ihrer Familie an den Lindenhof in Zürich. Im selben Haus wohnten bereits ihre Schwägerin und ihr Schwager mit drei Kindern, die Grossmutter und der Götti ihres Mannes. Das ist viel Familie auf einem Fleck. Deshalb wurde der Umgang miteinander vor dem Einzug besprochen, sodass trotzdem jeder seine Privatsphäre hat und man sich nicht ständig auf den Füssen steht. Jeder ist für sich, die Wohnungstüren sind zu. Die Kinder spielen viel zusammen, aber wem es zu viel wird, der schickt sie hinaus.

Die «Grossfamilien-WG» funktioniert inzwischen bestens. Die Kinder haben ihren Spass miteinander. Wenn der kleine Martial am Abend Krawall macht, während die Grösseren eine Geschichte hören möchten, dann holt ihn die Grossmutter ab und gönnt sich ein Tête-à-tête mit ihm. Séverine liebt es, wenn das Haus lebt, Freunde einfach auf einen Sprung vorbei kommen und auch mal zum Essen bleiben. Dass es bei ihr auch etwas unordentlich aussehen darf, verhindert Stress.

Die Männer im Haus, Séverines Mann David und sein Bruder Samuel, sind passionierte Köche. Immer wieder werden gemeinsam Gäste eingeladen und jeder im Haus kocht dafür einen Gang. Die Liebe zum Kochen haben die beiden Männer wohl von ihrem Vater Christoph Vitali, der es früher liebte, vor Vernissagen für auserlesene Museumsgäste selbst zu kochen.

Séverine ist zu rund 70% als Dolmetscherin an Kongressen und für den Nationalrat tätig. Während den Sessionen des Nationalrates, also an rund 50 Tagen im Jahr, ist sie in Bern und übernachtet auch dort im Hotel. In dieser Zeit kümmern sich die Freunde rührend um ihren Mann David. Viele von ihnen haben selbst kleine Kinder und holen ihn für Vater-Kind-Spaziergänge ab. Abends kommen sie mit einer DVD oder einem Bier vorbei. Wenn Séverine zu Hause ist, ist sie ab und zu mit Schwager Samuel und den total sieben Kindern beider Familien unterwegs. Da drehen sich die Leute um und denken, dass alle zur selben Familie gehören.

Das Leben in der Innenstadt gefällt Séverine . Hier können die Kinder alleine nach draussen gehen, da es keine gefährliche Strasse hat. Dass die Spielmöglichkeiten begrenzt sind, das täuscht. Ein Spielplatz ist da. Quentin spielt mit seinen Freunden Fussball in der nahen Schulanlage und die beiden Mädchen drehen schon mal eine Runde «zum schauen» im Franz Carl Weber oder sie gehen im Winter im Jelmoli vorbei, um ein Game zu spielen. Abends gibt’s ab und zu einen «Schwumm» für die ganze Familie in der Limmat.

Ihren Job würde Séverine manchmal gerne etwas reduzieren. Aber bei einem Auftrag einfach Nein sagen, kann sie sehr schlecht, und überhaupt «Wir sind eine Art Zwischengeneration» findet sie «Wir haben Kind und Karriere und müssen so funktionieren, als ob wir keine Kinder hätten. Ich muss für meine Kinder so viel da sein, als ob ich nicht erwerbstätig wäre und für meine Kunden so, wie wenn ich keine Kinder hätte. Den Kunden ist es egal, ob ich Kinder habe oder nicht.

Der Druck ist extrem hoch und du musst immer effizient sein.» Sie ist überzeugt, dass es für die nächste Generation einfacher sein wird, da es dann selbstverständlich ist, auf die Familie Rücksicht zu nehmen. Auch in Bezug auf den Druck der Globalisierung, der überall in der Arbeitswelt des Hochpreislandes Schweiz spürbar ist, denkt sie, dass wir uns werden ändern müssen. «Wir werden weniger haben und dafür wieder mehr Zeit. Wenn man glücklich ist, ist vieles überflüssig. Zeit zu haben ist wichtig und dass man auch einmal nicht so produktiv sein muss.»

 

Familienatmosphäre

Wenn wir alle zu Hause beisammen sind und auch der Kopf nicht schon wieder beim nächsten Job ist.

 

Highlights

Als wir mit dem vierten Kind nach Hause kamen. Halb acht Uhr morgens, die Sonne schien bereits, die Grossmutter erwartete uns, wir weckten die drei grossen Kinder zum Frühstück und sagten: «Schaut mal, wen wir mitgebracht haben!»

 

Damit kann man mich jagen

Wenn die Kinder sich mehrmals am Tag umziehen und die sauberen Kleider danach in den Wäschekorb schmeissen statt sie in den Schrank zu legen, weil man sie dann nicht zusammenfalten muss.
Aufregen kann ich mich auch über die manchmal extrem kleinliche Buchhaltung beim Abräumen, zum Beispiel: Wenn einer nur einen Löffel abgeräumt hat, ist es dann fair, wenn der andere nun zwei in den Geschirrspüler räumen muss? Und manchmal trödelt der- oder diejenige, die das Frühstück abräumen sollte, so lange, bis die Schule ruft und dann bleibt alles liegen. Quentin habe ich schon mal an einem Morgen das ganze Geschirr ins Bett gelegt. Das fand er sehr gemein.

 

Arbeitsteilung

Ich arbeite rund 70%, einen Drittel davon zu Hause. Mein Mann David arbeitet 80%. An drei Tagen ist Martial in der Krippe und die Grossen essen in der Schule zu Mittag. Bin ich an den drei Tagen nicht beruflich unterwegs, nutzte ich die Zeit für Vorbereitungen und für alles, was die Kinder sowieso nicht spannend finden. Ich bin froh, wenn sie einmal einen Tag weg sind und ich in Ruhe alles erledigen kann. Man sollte die Tagesbetreuung und das zu-Hause-sein nicht gegeneinander ausspielen, finde ich. Beides hat seinen Platz. Wenn alle Stricke reissen, ein paar Mal im Jahr, kommt meine Mutter aus Lausanne und schaut zu den Kindern.

 

Typisch Hausfrau!

Ich putze wirklich die ganze Zeit das WC. Sonst bin ich überhaupt nicht pingelig. Manchmal fragen mich die Leute sogar, ob bei mir eine Bombe eingeschlagen habe, weil überall etwas herumliegt. Aber immer wenn ich am WC vorbeigehe, sehe ich nach, ob es sauber ist.

 

So tanke ich auf

Auftanken und entspannen kann ich auswärts an Konferenzen, im Zug und abends im Zimmer, wenn ich im Hotel übernachte. In Bern, während der Sessionen des Nationalrates, da sind wir ein Team, ein sehr gutes. Wir unternehmen zusammen immer etwas, gehen zum Beispiel gemeinsam essen oder ins Kino.

 

Das treibt mich

Gerechtigkeit ist mir ein grosses Anliegen. Ich denke, ich habe es so gut und ich möchte dies teilen und ich möchte, dass auch meine Kinder so glücklich sein können. Dass sie das Leben geniessen können, auch wenn sie einmal «im Dreck sitzen».  Vielleicht habe ich das von meiner französischen Grossmutter. Bei ihr konnten immer alle kommen, man konnte Freunde zum Essen mitbringen und sie hatte nie Geld für sich, weil sie immer schon alles verschenkt hatte. Sie fand, dass es Leute gebe, die es dringender nötig hätten als sie.

 

 

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Portrait April 2007